PHILIPPINEN - Corona bremst die ganze Welt III

27.04.2020 | von Luggi Frauenberger
Mit diesem Artikel der „Coronareihe“ landen wir auf den Philippinen. 26.500 Tote in den letzten Jahren im Krieg gegen die Drogen. Und Präsident Duterte hat nun den Krieg gegen Corona eröffnet, was auf den Inseln im Pazifik nichts Gutes bedeuten wird.

Philippinen – ein vielfältiges wie zerrissenes Land und dieser Präsident

Philippinen, das Inselreich im Westpazifik scheint so zerrissen, wie es die Landmasse dieses Staates ist. Ein großer Grund dafür, dass die Gräben in der Bevölkerung immer weiter auseinandergehen, ist auch der Präsident, Rodrigo Duterte.

Seit Juni 2016 ist Duterte Präsident des ca. 100-Millionen-Volkes der Philippinen. Die politische Laufbahn des gelernten Juristen gipfelte vor seiner Präsidentschaft im Innehaben des Bürgermeisteramtes der Millionenmetropole Davao auf der südlichen Hauptinsel Mindanao. Als Bürgermeister Davaos übte er wohl in den verschiedenen Programmen seiner damaligen Stadtregierung, wie eine Region „sauber“ werden könne. Einerseits wurde die Exekutive angewiesen, wenig bis keine Toleranz gegen Gesetzesübertretungen zuzulassen. Andererseits bediente er sich auch in Davao bereits einer Art paramilitärischer Trupps, die illegale Hinrichtungen ausführten. Dutertes „Politik des Säuberns“ setzt bis heute auf „die Aufnahme und den Abschluss des Verfahrens auf der Straße“. Es sollen nicht hauptsächlich Verhaftungen gemacht werden - es wird vor allem geschossen!

Arte, der deutsch-französische Sender, strahlte am 26. März 2020 den Film „Philippinen – Dutertes blutiger Drogenkrieg“ aus, der das Ausmaß dieser Politik Dutertes in abstoßenden Bildern und mit martialischen Aussagen der Involvierten dokumentiert!

 

Der Drogenkrieg hat die Menschen betäubt

Dieser nun über Jahre anhaltende Krieg gegen die Drogen hat die Philippinen verändert. Auf der einen Seite sehnten sich viele Menschen im Land nach der Rückkehr von Ordnung und Sicherheit, was nach wie vor zu einem riesigen Vertrauen gegenüber Duterte bei Millionen von Menschen führt.

Auf der anderen Seite flüchteten die Menschen in eine Art Amnesie, eine „notwendige Fiktion“, wie es der Soziologe Randy David beschreibt. Die Informationen über die alltäglichen Massaker, die auch an vielen, vielen Unschuldigen verübt werden, führte die philippinische Gesellschaft dahin, dieses Unvorstellbare beiseite wischen zu müssen.

 

Corona als Ablenkungsmanöver

Und dann tauchte der Coronavirus auf. Zuerst spielte ihn Duterte (so wie Trump, Bolsonaro oder Erdogan) herunter, als sei diese Krankheit etwas, was auf den Philippinen keine Rolle spielen würde. Die vereinzelten Tests, die durchgeführt wurden, mussten zur Auswertung vorerst nach Australien geflogen werden, weil nicht mal Labors für das Datenerfassen zur Verfügung standen. Später, als die Zahl der Infizierten und Toten anstieg, wurde sehr schnell auf „hart“ umgeschaltet und rigorose Ausgangssperren verhängt. Seit Ende März 2020 ist ganz Luzon mit seinen rund 53 Millionen Einwohner*innen betroffen. Wer sein Zuhause verlässt, riskiert sein Leben. Denn Duterte gab auch in diesem Falle die Option „Erschießen“ aus, sollte sich jemand den Anweisungen der Polizei widersetzen.

„Die Sondergesetze rund um Corona bleiben in Kraft, bis es einen Impfschutz gibt.“, so die bedrohliche Botschaft des Präsidenten. Bedrohlich deshalb, weil Duterte eher an die Verhängung des Kriegsrechts und damit die Verschärfung der Maßnahmen denkt, als endlich das zu tun, was dringendst nötig wäre: die Hilfen für die Menschen hochzufahren.

Tests werden nun gemacht, vor allem bei der Exekutive und den Reichen, die besonders geschützt werden sollen. Vor allem aber werden nun täglich die neuesten Zahlen der Pandemie in den Medien publiziert und viel mediales Aufsehen erregt. Mit Stand vom 21. April haben die Philippinen 428 Coronatote. Eine Zahl, über die in den Philippinen gesprochen wird und die nun wichtiger scheint, als die Hunderten von Toten pro Woche, die nach wie vor der Krieg gegen die Drogen hinterlässt. Unkommentiert!

 

Corona als Gefahr für das Leben

Ganz anders stellen sich unsere Projektpartner*innen der Coronapandemie auf den Philippinen, betroffen davon sind sie in sehr unterschiedlicher Weise. Der DKA-Partner MAG (medical action group) in der 13-Millionen-Metropole Manila bietet seine Hilfe nun mit folgenden Aktivitäten an:

  • Erstens werden Gesundheitstipps über die eigenen digitalen Medien (Webseite und Facebookseite) an alle verbreitet.
     
  • Zweitens werden Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Viele Helfer*innen werden misshandelt, die die Ausgangssperren missachtet haben, weil sie anderen zum Beispiel als Krankenpfleger*in helfen wollten.
     
  • Drittens wurde eine digitale Helpline (Telefon, SMS, Videocalls) eingerichtet, bei der sich Gesundheitskräfte, die an vorderster Front bei der Hilfe von Menschen stehen, beraten lassen können. Wenn es darum geht, medizinische Hilfe richtig anzuwenden, Antworten auf Fragen zur Behandlung gesucht werden oder gar, im Triagefall, Entscheidungen getroffen werden müssen, wem noch geholfen wird und wer keine Hilfe mehr bekommt.
    Ein Team aus zehn Ärzt*innen, einem Psychiater und fünf Psycholog*innen stehen seit Mitte März im Dauereinsatz, um den Menschen zu helfen.
     
  • Viertens versucht MAG, Schutzbekleidungen, Abfallsäcke für die infektiösen Schutzutensilien nach deren Gebrauch und Desinfektionsmittel aufzutreiben, um so auch das Gesundheitspersonal zu unterstützen.

DKA und die deutsche Hilfsorganisation Misereor unterstützen unseren Partner MAG.

Rund 250 km nördlich von Manila stellen sich in der Stadt Baguio andere Probleme, wie unser Propjektpartner von CorDisRDS, Jimmy Khayog, berichtet:

  • Ausgangssperren, die pro Stadtteil nur an drei Tagen die Woche für einige Stunden zum Einkaufen etc. unterbrochen werden dürfen.
     
  • Hunger bei den Familien, die von Tagesjobs oder vom Job als Jeepneyfahrer lebten, weil der öffentliche Verkehr fast vollends eingestellt wurde.
     
  • Bauern, die ihre Ernten in den Dörfern verteilen oder im schlimmsten Fall wegwerfen müssen, weil das Fahren auf die Märkte unmöglich wurde, da wegen der Ausgangssperren keine KundInnen mehr kommen oder der Transport zu den Märkten nicht mehr möglich ist.

CorDisRDS will zusätzlich zu den von der Lokalregierung verteilten Hilfsmaßnahmen (da diese nicht ausreichen) Familien in den Regionen, in denen CorDisRDS tätig ist, mit Essens- und Hygienepaketen dabei unterstützen, ihr Überleben zu sichern. Neben Reis sollten getrockneter Fisch, etwas Zucker und Öl sowie Seife darin enthalten sein. Die direkte Verteilung der Pakete soll in den Dörfern dann von kleineren, lokalen Organisationen bewältigt werden, da auch für CorDisRDS die Auflagen wie Fahrtgenehmigungen etc. schwer zu erfüllen sind.

 

Mindanao, der „unbeteiligte“ Süden in Zeiten von Corona?

Rund 2000 km südlich von Baguio zeigt sich ein anderes Bild der Situation. Während in der Metropole Davao durchaus einiges an Manila erinnert, geht es den Familien der Bauern und Bäuerinnen durchaus gut. Während in Davao die armen Familien auf die rund 5000 bis 8000 Pesos (1 € = 55 Pesos) für April und Mai an staatlicher Unterstützung warten, freuen sich die Bauern und Bäuerinnen über zusätzliche Absatzmöglichkeiten.

So schrieb mir Geonathan Barro, der 2018 als Gast der Dreikönigsaktion in Oberösterreich die Arbeit von Agro-Eco vorstellte, Folgendes:

„Wir hier auf Mindanao sind von Covid-19 sehr wenig betroffen, im Vergleich zu Manila. Aus manchen Dörfern kommen sogar sehr schöne Erfolgsgeschichten. So wie die von den beiden Bauernorganisationen Tsafo und Misfa, die seit Ausbruch der ganzen Coronasache, die so viel Angst im ganzen Land erzeugt, das Gegenteil erfahren. Durch den Zusammenbruch des Handelssystems, welches bislang auch viele Waren von weit weg auf unsere lokalen Märkte brachte, kommen nun immer mehr Menschen zu den Biobauernhöfen von Tsafo und Misfa, um sich dort mit den Lebensmitteln einzudecken. Viele Käufer*innen sagen, dass dies so wunderbar sei, dass die Bauern der Umgebung alles Nötige anbieten! Und so entstehen in diesen schwierigen Zeiten gegenseitiges Vertrauen und neue Absatzwege, die die Lebensgrundlage der Biobauern verbessern. So verdienen Eunie und seine Tochter Lourdes, die einst jüngste Reiszüchterin der Philippinen im Alter von sechs Jahren war, rund 2000 Pesos die Woche. Dies ist eine große Freude für den alleinerziehenden Vater mit seinen Kindern!“

 

Eunie erklärt seiner jüngsten Tochter das Reiszüchten.

 

Biolandwirtschaft zeigt sich sehr stabil

Und von unseren Biolandbau-Partnern weiter im Süden von Mindanao, der Don Bosco Stiftung, habe ich aus einer E-Mail vom 20. April erfahren:

„Die Blumen- wie auch die Gummiproduktion (für Autoreifen etc.) in Mindanao ist am Zusammenbrechen. Die meisten Arbeitenden in diesen Agroindustrien sind arbeitslos. Während der Kilopreis vor Corona für ein Kilogramm Gummi bei 13 Pesos lag, ist er jetzt bei 9 Pesos (= 16 Cent). Vor zehn Jahren zahlten die internationalen Einkäufer noch 110 Pesos pro Kilogramm Gummi.

Alle jene, die Essen produzieren, stehen denen gegenüber super da. Don Bosco hat auch mit wechselnden Marktmechanismen zu tun, wobei sich bei den Bioexportprodukten von Don Bosco die Marktteilnehmer Gott sei Dank recht unterschiedlich benehmen. Die Japaner kaufen nun mehr Biobananen als früher und beim Bioreis konnten die Absatzschwierigkeiten mit den USA durch die größeren Bestellmengen aus Hongkong kompensiert werden. Der lokale Biomarkt funktioniert nach wie vor gut und auch die lokale Regierung ist bemüht, die Transportschwierigkeiten klein zu halten.“

Betsy, die Leiterin der Stiftung, drückt aber auch ihre Sorge über die Zukunft aus und bespricht dies sehr wohl auch mit den lokal verantwortlichen Politiker*innen und der lokalen Verwaltung. „Die Wirtschaft zu schützen oder Menschenleben zu schützen ist die schwierige Aufgabe der Regierung und eine Entscheidung zwischen, Szylla und Charybdis.“, wie es Betsy beschreibt.

Wenn dieser Lockdown, der die philippinische Wirtschaft massiv beschädigt, noch lange anhalten wird, dann könnte es sein, dass durch Hunger und soziale Unruhen mehr Menschen sterben als durch Covid-19. Verstärkt wird die Sorge dadurch, dass mittlerweile Vietnam die Reislieferungen an die Philippinen ausgesetzt hat. Der Ausfall des wichtigsten Lieferanten von Reis könnte Hungerrevolten zur Folge haben, denn die philippinische Landwirtschaft schafft es mittlerweile nicht mehr, die Reisversorgung des Landes sicher zu stellen.

„Verstärkt sollten zumindest die lokalen Behörden die Grundversorgung der Bevölkerung zu ihrer Sache machen, da die Reisvorräte der Region bis zur nächsten Ernte im August oder September nicht reichen werden“, so Betsy. Die Menschenleben schützen und gleichzeitig die Wirtschaft weitgehend am Laufen zu halten – das wird der Weg zum Überleben der Menschen sein.

 

Bleibt noch die Frage offen: Wie wird Duterte in Manila weitermachen?

 


Quellen

DKA-Projektpartner*innen von CorDisRDS, Don Bosco Foundation, Agro-Eco, MAG; amnesty.de, ARTE, UCANews Manila, philrights.org,

 

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Luggi Frauenberger

ist im Jungscharbüro für den DKA-Bildungsbereich mitverantwortlich und betreut das Fundraising und die Spezialprogramme Solidareinsatz und Lerneinsatz.