Der Liebe wegen habe ich hier eine Heimat gefunden.

07.05.2023 | von Luggi Frauenberger
Luggi Frauenberger interviewt Pauline Ajwang Ware, eine ehemaligen NGO (Nichtregierungsorganisation) - Mitarbeiterin aus Kenia.

Pauline kam 2007 im Rahmen eines Süd-nach-Nord-Lerneinsatzes der DKA zum ersten Mal nach Österreich, um hier viel Neues zu lernen. Seit 2015 lebt sie nun mit ihrem österreichischen Mann zusammen und die beiden sind mittlerweile stolze Eltern von zwei Töchtern.

Österreich wurde für Pauline durch die Liebe zu ihrer zweiten Heimat und es sind vor allem Wien und Oberösterreich, die für sie wichtige Regionen wurden.

 

schön & besser

Wenn Pauline die beiden Länder Österreich und Kenia vergleicht, dann fällt ihr ein, dass Folgendes in Österreich besser als in ihrem Herkunftsland ist:

  • Die Menschenrechte sind in Österreich viel stärker geschützt
  • In Österreich ist es viel leichter, frei seine Meinung zu äußern. Man meldet Demonstrationen an und kann dann alles sagen.
  • Männer und Frauen sind gleichberechtigt; für gleiche Arbeit gibt´s bei uns am Arbeitsplatz gleichen Lohn! Mädchen und Buben erben gleich. „In Kenia erben die Männer alles. Frauen werden mal heiraten,“ so die Einstellung vieler.
  • Die öffentlichen Verkehrsmittel sind super! „Man braucht nur einen gültigen Fahrschein und schon geht´s los!“
  • Die soziale Absicherung ist sehr gut, wie Arbeitslosengeld etc.

 

Sehnsucht & Heimweh

Natürlich vermisst Pauline auch so manches, wie zum Beispiel

  • die Gottesdienste. „Was in Österreich 45 Minuten dauert, ist in Kenia ein Event von vier bis fünf Stunden. Dort wird getanzt und gebetet. Zu Ostern und Weihnachten wird gefeiert, getrommelt und man ist einfach froh, lebendig zu sein und dies wird als Danke an Gott gesagt.“
  • die sozialen Kontakte mit Nachbar*innen etc. sind in Kenia viel ausgeprägter. Man kümmert sich mehr um die anderen, fragt, ob sie Hilfe brauchen etc.
  • das Wetter. Hier in Österreich ist es einfach sooo kalt! Und mit einem Lachen sagt Pauline: „Die Menschen in Kenia haben keine Ahnung, wie kalt es hier in Österreich sein kann!“
  • das Essen. „Kenianisches Essen fehlt mir oft, aber in Wien kann ich im Grunde alles, was ich in Nairobi zum Kochen habe, auch bekommen: das Originalmehl für Ugali (ein Maismehlbrei) oder auch den Tilapiafisch.“

 

Österreich ist für Pauline Heimat geworden, weil sie hier verheiratet ist, zwei Kinder hat und auch einen guten Job als Kindergartenpädagogin ausübt. „Meine Mitgliedschaft in der afrikanischen Gemeinde ist für mich auch ein Stück Heimat, hier in Österreich! Mit diesen Leuten feiern wir afrikanische Gottesdienste in Kisuaheli und verschiedene Feste.“

 

schräg & eigenartig

Auf die Frage, was für Pauline das Schrägste an den Kulturen der Österreicher*innen war, das sie erlebt hat, erzählt sie von einem besonderen Erlebnis:

„Nachdem wir aus Oberösterreich mit unserer damals kleinen Tochter nach Wien heimkamen, wurde uns klar, dass wir unsere Wohnungsschlüssel dort bei der Oma vergessen hatten. Wir läuteten im Mietshaus und irgendjemand öffnete die Haustür. Mein Mann informierte den Schlüsseldienst, welcher auch schnell zur Stelle war. Dann begann dieser Servicemann unsere Wohnungstür aufzubohren, um das Schloss auswechseln zu können. Es war ein Höllenlärm und niemand kam aus einer Wohnung heraus! Niemand!

Als das Ganze vorüber war, fragte ich meinen Mann, was denn passieren würde, falls da mal eingebrochen wird? Schaut da auch niemand von den Nachbarwohnungen heraus, denn in Nairobi wäre sofort jemand da, würde nachfragen, würde mich und das Kind wahrscheinlich vom kalten Gang in die Wohnung bitten und mir ggf. einen warmen Tee anbieten. Mein Mann aber sagte: Nein, da würde vermutlich auch niemand herausschauen. Wenn, dann verständigt man nachher die Versicherung und ggf. die Polizei! Ich war schockiert, wie anders das hier läuft."

 

beeindruckend & hilfreich

Besonders beeindruckend fand Pauline, wie höflich die Menschen hier in Österreich am Telefon sind. Und als sie schwanger war, haben immer Leute die Straßen- oder U-Bahntür blockiert, damit sie den Zug noch erwischte. Und einmal drinnen, sind sofort Leute aufgestanden und haben sie niedersetzen lassen! Das war sehr ungewohnt für Pauline und sie fand das sehr schön.

„Einmal fand ich mit meiner muslimischen Arbeitskollegin den Weg vom Stephansplatz zu einer Fortbildung nicht und wir diskutierten, wie wir da jetzt hinfinden sollten. Ein „Österreicher ohne Migrationshintergrund“ war schon an uns vorübergegangen, er drehte jedoch um und fragte uns, ob wir Hilfe bräuchten. Als wir die Frage bejahten, erklärte er uns sehr genau, wie wir gehen müssen, damit wir das Haus unserer Fortbildung finden konnten. Ich war dem Mann sehr dankbar für seine Hilfe.“

 

hi & ciao

„Andererseits erlebe ich oft, dass es hier wenige Leute mögen intensiven Kontakt zu halten. Sie sagen kurz mal Hallo, aber sind dann gleich wieder weg. Eine Arbeitskollegin hat mir das auch mal gesagt, dass viele hier so tun. Darüber war ich froh, dass sie mir das sagte, denn dann kann ich mich darauf einstellen. In Kenia ist es sehr wichtig, dass man viele gute Beziehungen hat, denn Hilfe braucht schnell jemand. Hier in Österreich haben alle fast alles und so ist es nicht so wichtig, Beziehungen zu pflegen, denn wenn man einen Job sucht, dann geht man zum AMS usw.

Schon vor Corona erlebte ich, dass die Leute in meiner Umgebung bei der Begrüßung keine Hände schütteln. Das war sehr komisch für mich, denn in Kenia schütteln wir alle Hände und suchen den Augenkontakt zueinander. So wie das in Österreich läuft ist eh ok für mich, aber ich finde es doch komisch.“

Auf Luggis Ergänzung, dass in Luggis oberösterreichischem Dorf auch jede Hand geschüttelt wird, begegnet Pauline mit dem Satz: „Das ist gut zu wissen, dass es das Händeschütteln in Österreich auch so intensiv gibt wie in Nairobi.“

 

zuhören & helfen

Paulines Wunsch an die Menschen in Österreich ist, einfach zuzuhören, zu fragen, ob man helfen kann und ggf. dies auch zu tun. Und andererseits ist es auch so, dass man nicht denken soll, jede*r Zugezogene braucht immer Hilfe! „Wenn jemand in einer Situation offensichtlich Hilfe benötigt, dann frage nach und hilf, wenn es nötig ist.“

„Meine Religion kann ich hier in Österreich vollkommen uneingeschränkt leben. Natürlich sind die österreichischen Gottesdienste ganz anders, so kurz. Aber ich feiere am Sonntag mit meiner afrikanischen Gemeinde Gottesdienste mit Trommeln, Tanz und auch recht laut. Wie zuhause in Kenia und das freut mich sehr.“

„So sage ich: Ich lebe gerne hier, weil ich

  • verheiratet bin
  • meine Kinder hier habe
  • dieses Land liebe,
  • einen guten Job mit einem tollen Team habe und
  • eine großartige afrikanische Gemeinschaft gefunden habe.“

 

Wo du deine Haube lässt, dort ist deine Heimat.
Ich lebe gerne hier, weil ich eine Zukunft sehe!
Der Liebe wegen habe ich hier eine Heimat gefunden.
Luggi Frauenberger

ist im Jungscharbüro für den DKA-Bildungsbereich mitverantwortlich und betreut das Fundraising und die Spezialprogramme Solidareinsatz und Lerneinsatz.