Hilfe, warum sagt denn keiner was?!?!

04.02.2020 | von Lukas Öttl
Wer kennt es nicht? Man ist ausgezeichnet vorbereitet, hat viele Materialien besorgt, hat sich Mühe bei der Auswahl des Themas gegeben und ist topmotiviert für die Jungscharstunde. Dann aber – man hat kaum zu sprechen begonnen – breitet sich etwas Beklemmendes und Ungewohntes aus: Schweigen.

Schweigen ist nicht normal

Stille und Schweigen sind in unserer lauten Welt nicht sehr oft zu finden: Auf öffentlichen Plätzen stört der Straßenlärm unsere Ruhe, in den Öffis lässt sich jeder einzeln durch seine Kopfhörer beschallen, in Schule und Arbeit sind wir sowieso einem hohen Lärmpegel ausgesetzt und in unserer Freizeit schauen wir gerne Serien und Filme. Kurz: Dolby-Sourround-Sound in allen Lebenslagen.

Vielleicht sind wir also Stille und Schweigen oft nicht mehr gewöhnt und halten es daher so schwer aus, einmal nichts zu hören. So ist es wenig verwunderlich, dass der Popsänger Wincent Weiss in seinem Lied Musik sein die Stille, als sich seine Geliebte nach einer durchzechten Nacht nach Hause aufmacht, als unerträglich empfindet: „Du schließt die Tür, es wird still, ich schau dir nach / Und mit dir Trompeten, Geigen und Chöre / Irgendwas gegen die Stille hier.“ Die Stille stellt er hier als Teil des Alleinseins dar. Vielleicht macht diese Stille aber auch Gedanken und Gefühle hörbar, die normalerweise im Meer des Alltagslärms einfach untergehen und denen man sich nicht stellen will. Alles in allem ein sehr beklemmender Zustand. Stille als Begleiterin des Alleinseins finden wir auch im Lied Dann kommt die Musik der österreichischen Band Einfach Flo: „Stille, du bist allein / keiner scheint mehr da zu sein.“ Der krasse Kontrast in beiden Liedern: Musik. Und tatsächlich: Psychologen und Neurowissenschaftler gehen davon aus, dass Stille für das Gehirn unterfordernd ist und so leicht negative Gefühle auslösen kann1.

 

Auf der Suche nach Stille

Gleichzeitig suchen viele Menschen nach Ruhe und Stille, die Rastlosigkeit des Alltags ist für viele überfordernd. Studien legen auch nahe, dass einerseits die ständige Reizüberflutung zu körperlichen und psychischen Krankheiten beitragen kann, dass Stille andererseits auch therapeutische Funktionen übernehmen und so heilen kann 1. Auch wenn dies Erkenntnisse der modernen Psychologie sind, existiert ein Bedürfnis nach Stille schon viel länger. Eine durch Stille erzeugte angenehme Atmosphäre vermittelt zum Beispiel schon im Jahre 1815 Johann Wolfgang von Goethe in seinem Gedicht Wandrers Nachtlied:

Über allen Gipfeln

Ist Ruh',

In allen Wipfeln

Spürest Du

Kaum einen Hauch;

Die Vögelein schweigen im Walde.

Warte nur! Balde

Ruhest du auch.

Der Dichter verbindet, wie viele vor ihm und viele nach ihm, Stille mit der Idylle der Natur. Auch moderne Freizeit- und Urlaubstrends stehen oft im Zeichen von Stille: Meditationen und Yoga werden als genauso wohltuend empfunden wie der Urlaub auf der Berghütte. Stille hat also für die allermeisten Menschen auch eine angenehme Seite. Dabei handelt es sich aber wohl eher um innere Ruhe als um völlige Geräuschlosigkeit: Nicht umsonst können auch laute Aktivitäten wie Musik hören oder mit Freunden und Freundinnen ein Brettspiel spielen entspannend sein.

 

Wenn mein Publikum schweigt…

Wahrscheinlich wirst du als Gruppenleiter*in Stille und Schweigen in der Jungscharstunde eher nicht als Entspannung wahrnehmen. Besser wäre es natürlich, wenn es gar nicht erst zur peinlichen Stille kommt. Dazu kannst du schon bei der Vorbereitung über folgende Punkte nachdenken:

  • Ist dieses Thema für meine Gruppe interessant und relevant?
  • Kennen die Kinder die Methoden und mögen sie sie? Wenn sie die Methoden nicht kennen, gefallen ihnen ähnliche Methoden?
  • Habe ich ein Ersatzprogramm, falls meine vorbereitete Gruppenstunde nicht so gut ankommt?

Wenn es nun aber doch zu unangenehmem Schweigen kommt – und ein gewisses Restrisiko bleibt immer – ist das oberste Gebot: Zunächst einmal die Stille aushalten. Das Schweigen der Kinder ist nicht unbedingt eine negative Reaktion auf das Thema oder auf die Situation insgesamt, vor allem solltest du es niemals persönlich nehmen. Gründe für ruhiges Verhalten von Kindern liegen oft in ihrem Charakter. Natürlich kann es vorkommen, dass Kinder, die sich eher nicht an Gesprächen beteiligen, Angst haben vor anderen laut zu sprechen oder vorübergehend private Sorgen oder Probleme haben 2. Was auch immer der Grund ist, zwinge die Kinder niemals zum Sprechen. Vergiss nicht, dass die Jungscharstunde in der Freizeit stattfindet und frei von Druck und Zwängen sein sollte.

Wenn du das Gefühl hast, dass ein Kind Sorgen, Probleme oder Ängste hat, kannst du das Gespräch natürlich suchen, allerdings eher diskret und fern von den Augen und Ohren der anderen Kinder. Tritt kollektives Schweigen beim thematischen Arbeiten dagegen öfter auf, kann es auch helfen die Methode zu ändern. Thematisches Arbeiten gelingt auch oft, ohne direkt über das Thema zu sprechen. Beim Basteln kann man sich beispielsweise ausgezeichnet mit verschiedenen Problematiken auseinandersetzen, meist kommt man dann auch über das Thema ins Gespräch. Möglicherweise steht hinter dem Schweigen aber auch ein Bedürfnis nach Stille und Entspannung, in diesem Fall sind Stilleübungen und Yoga oder Meditation (siehe andere Beiträge zum Thema) sicher nette Ideen für die nächste Jungscharstunde.

 


1 Pfersdorf, Silke: Stille. In: Psychologie Heute 1/2019.

2 Thömmes-Bonart, Hannah: Das Schweigen der Schüler – wortkarge Kinder im Unterricht motivieren. (Abrufbar unter https://www.forrefs.de/sekundarstufe/unterricht/unterricht-halten/lehrerschueler-interaktion/das-schweigen-der-schueler-wortkarge-kinder-im-unterricht-motivieren.html)

Lukas Öttl

studiert Latein und Griechisch, lebt also mehr in der Antike als im Jetzt. Er hat einen italienischen Pass und liebt Kaffee, Mozzarella und Parmesan. Wäre er ein römischer Gott, hieße er Somnus, das heißt Schlaf. Nachtschichten gibt’s bei ihm also keine, neue Artikel zahlreiche.