Vorhang auf und Bühne frei

25.11.2019 | von Lukas Öttl, Marianne Bäck
Findest du es spannend in andere Rollen zu schlüpfen? Haben deine Jungscharkinder Lust auf Experimente oder möchtest du deine Gruppe darin begleiten, versteckte schauspielerische Talente herauszukitzeln? Theaterspielen bietet euch die Gelegenheit dazu! Dazu musst du nicht unbedingt mit deiner Gruppe ins Theater gehen. Holt euch das Theater in den Jungscharraum und probiert die hier aufgelisteten Methoden!
Kinderanzahl
Kinderanzahl
ab 20 Pers.
Gesamtzeit
Gesamtzeit
60 Minuten

Holt euch das Theater in den Jungscharraum! Hier habt ihr die Gelegenheit euch vom klassischen Theaterverständnis abzuwenden, wo einstudierte Stücke einem meist passiven Publikum vorgeführt werden. Dreht den Spieß um und macht die Zuseher*innen zu aktiven Mitwirkenden. Der brasilianische Theatermacher Augusto Boal war einer, den Theater auf diese Art und Weise faszinierte. Er entwickelte das sogenannte „Theater der Unterdrückten“ (TdU), um Theater für die Bevölkerung und aus der Sicht der Bevölkerung zu machen. Im folgenden Beitrag findest du Methoden und Hintergrundinfos, wie du das TdU mit deiner Gruppe ausprobieren kannst.1

 

Lass deinen Gefühlen freien Lauf!

Dauer: 10 Minuten

Mit dieser Aktivität üben die Teilnehmer*innen den gezielten Ausdruck eines bestimmten Gefühls. Sie lernen so, eher durch Mimik, Gestik und Stimme als mit Worten Gefühle auszudrücken. Die Namen der Teilnehmer*innen müssen untereinander bekannt sein. Wenn sie das nicht sind, kannst du vorher ein Kennenlernspiel spielen oder einfach Sticker mit den Namen austeilen.

  1. Du weist die Teilnehmer*innen an, sich frei im Raum zu bewegen.
  2. Du rufst „Stopp“ und nennst ein Gefühl (traurig, zornig, schüchtern, fröhlich, überdreht etc.). Es empfiehlt sich möglichst verschiedene Gefühle zu verwenden.
  3. Die Aufgabe der Teilnehmer*innen ist es erneut im Raum herumzugehen und die Personen, die ihnen begegnen mit dem Namen anzusprechen. Dabei soll das genannte Gefühl transportiert werden.
    Ein Beispiel: Das genannte Gefühl ist „fröhlich“ und meine Freundin Nina geht an mir vorbei. Ich sehe sie mit einem großen Lächeln an und sage: „Nina“. 

Nach einiger Zeit wiederholst du Schritt 2 und die Teilnehmer*innen Schritt 3.

 

Spiegelbilder

Dauer: 15 Minuten

Diese Aktivität beschäftigt sich intensiv mit der genauen Wahrnehmung des Gegenübers. Übungen mit Spiegelbildern fördern die Empathiefähigkeit (Einfühlungsvermögen), man versetzt sich auf sehr oberflächliche Weise in jemanden hinein.

  1. Die Teilnehmer*innen finden sich zu Paaren zusammen.
  2. Eine*r der beiden Teilnehmer*innen nimmt mit dem Körper eine bestimmte Position ein.
  3. Der/Die andere imitiert diese Position wie ein Spiegelbild. Nach einigen Sekunden verändert er/sie das Spiegelbild wieder.
  4. Nach fünf Minuten werden die Rollen getauscht.
  5. Wenn die Teilnehmer*innen mit stehenden Positionen gut zurechtkommen, kann man diese Übung auch um alltägliche Tätigkeiten (z.B. Zähne putzen, Schnürsenkel binden, Tennis spielen, trinken etc.) erweitern. Es wird nicht mehr eine Pose imitiert, sondern eine ganze Bewegung.

 

Zeitlupenkämpfe

Dauer: 20 Minuten

Diese Übung baut Aggressionen ab ohne Verletzungen zu riskieren. Zusätzlich wird trainiert auf andere Personen zu reagieren.

  1. Die Teilnehmer*innen finden sich zu Paaren zusammen, schauen sich in die Augen und stellen sich dicht zusammen.
  2. Die Teilnehmer*innen entfernen sich langsam voneinander, ohne sich aus den Augen zu verlieren.
  3. Die Teilnehmer*innen simulieren einen Boxkampf in Zeitlupe, ohne sich dabei zu berühren. Alles ist erlaubt, solange es in Zeitlupe und ohne Berührungen passiert.
  4. Zum Schluss kann der Raum für alle freigegeben werden, jede*r kämpft gegen jede*n.

 

Bilder-/Statuentheater

Dauer 45-60 Minuten

  1. Die Teilnehmer*innen finden sich in Vierer- oder Fünfergruppen zusammen.
     
  2. Die Aufgabe ist, eine Situation der Unterdrückung oder eines gesellschaftlichen Problems darzustellen. Dafür überlegen sich die Teilnehmer*innen ein Thema. Es kann sehr abstrakt sein (Armut) oder auch in einen konkreten Kontext gestellt werden (arme Familien in Österreich).

    Tipp: Bereite die Themen bei sehr jungen Teilnehmer*innen vor (Armut, Obdachlosigkeit, Mobbing in der Schule, Diskriminierung von Ausländer*innen, sexistische Handlungen gegen Frauen, usw.). Du kannst verschiedene Aspekte eines umfangreicheren Themas bearbeiten oder auch allen Gruppen dasselbe Thema zuteilen und so verschiedene Interpretation besprechen. Achte dabei immer auf das Alter und die Situation.
     
  3. In den Kleingruppen diskutieren die Teilnehmer*innen, wie man das Problem als lebendige Statuen in einem Standbild darstellen könnte. Requisiten sind nicht erlaubt, die Problematik soll allein durch Mimik, Gestik und Konstellation der Statuen zum Ausdruck kommen. Sobald jedeR eine Pose hat, überlegt sich jede*r einen passenden Satz für ihre/seine Rolle.
     
  4. Wenn alle Kleingruppen ein Standbild erstellt haben, wird eines nach dem anderen vor den anderen Kleingruppen präsentiert. Das Publikum diskutiert nun die folgenden Fragen:
    - Was sehe ich? Was nehme ich wahr? Wie viele Personen? Was machen sie?
    - Was macht das Bild mit mir? Welche Gefühle löst es aus?
    - Was könnte das Problem sein?

    Bestehe darauf diese Schritte einzuhalten. Die Teilnehmer*innen neigen oft dazu, von vornherein über das Problem zu diskutieren. Man muss dann eventuell einen Schritt zurück machen.
    Wenn es schwierig ist das Problem zu verstehen, hat das Publikum die Möglichkeit eine Statue anzutippen. Diese gibt den zu ihrer Rolle passenden Satz wieder.
     
  5. Das Publikum ist eingeladen das gezeigte Realbild zu verändern, um es in ein Idealbild zu verwandeln. Du kannst als Gruppenleiter*in dem Publikum freie Hand lassen oder die Handlungsfreiheit durch Anweisungen einschränken: „Verändert nur eine/zwei Person/en!“, „Stellt eine Person dazu!“, „Verändert den Satz einer Person!“.

Die nächste Gruppe darf ihr Standbild präsentieren und die Schritte 4 und 5 werden wiederholt. Am Ende folgt eine kurze Reflexionsrunde. Jede*r Teilnehmer*in darf sagen, was sie/er sich aus dieser Übung mitnimmt.

 


Vgl.: https://wien.jungschar.at/programm/theater/theater-der-unterdrueckten/.

 

voll.dabei

Theater der Unterdrückten

Was ist das Theater der Unterdrückten?

Das Theater der Unterdrückten wurde vom Brasilianer Augusto Boal gegründet, um eine Möglichkeit des Widerstandes gegen unterdrückende Situationen aufzuzeigen. Es geht davon aus, dass jeder Mensch Theater machen kann und dass jeder Mensch zugleich Theater ist. Dabei werden Situationen der Unterdrückung dargestellt und es wird versucht Handlungsmöglichkeiten zu entwickeln, welche die Realität ein Stück weit verbessern können. Boal bezeichnet das erste Bild als Realbild, das verbesserte als Idealbild. Charakteristisch ist für das Theater der Unterdrückten außerdem, dass das Publikum an der Problemlösung beteiligt ist und so passive ZuschauerInnen zu AkteurInnen werden. Es ist eine Kombination von Kunst und Selbsterfahrung, die eine Form politisches Probehandeln ermöglicht.

 

Methoden des Theaters der Unterdrückten

Bevor es mit dem Theaterspielen losgehen kann, ist es ratsam einige Aufwärmübungen durchzuführen. In diesem Beitrag präsentieren wir drei Methoden zum theatralen Ausdruck, die nützlich sein können. Anschließend können Bilder-/Statuentheater oder/und Forumtheater durchgeführt werden. Im Beitrag erläutern wir das Bilder-/Statuentheater genauer. Beim Forumtheater handelt es sich um einstudierte Szenen, die vor einem fremden Publikum aufgeführt werden. Das Publikum soll dann spontan an der Problemlösung teilnehmen.

 

Wichtige Infos zur Durchführung des Theaters der Unterdrückten

  • Prinzip der Freiwilligkeit: Niemand muss mitspielen.
  • Jede*r darf „Stopp!“ sagen, wenn sie/er nicht mehr spielen möchte oder sich nicht mehr wohlfühlt. Die Szenen werden dann abgebrochen.
  • Alternativen für Kinder, die nicht gerne Theater spielen, sind andere Rollen im Theater wie Statist*in, Bühnenbildner*in, Ankleider*in, Regisseur*in u.v.m.

Buchtipps

Boal Augusto: Theater der Unterdrückten (Suhrkamp, 2013)

Grosser Simone: tool-kit II. Theater der Unterdrückten (Paulo-Freire-Zentrum Wien). Verfügbar unter: http://ungleichevielfalt.at/documents/TK/toolkit_2_Theater.pdf

 

Lukas Öttl

studiert Latein und Griechisch, lebt also mehr in der Antike als im Jetzt. Er hat einen italienischen Pass und liebt Kaffee, Mozzarella und Parmesan. Wäre er ein römischer Gott, hieße er Somnus, das heißt Schlaf. Nachtschichten gibt’s bei ihm also keine, neue Artikel zahlreiche.

Marianne Bäck

ist im voll.bunt Team und hat schon viele Herzensmomente bei der Jungschar erlebt.