Der lange Weg zum Ankommen

25.01.2023 | von Luggi Frauenberger
Eine Betrachtung zu Flucht und Migration.
Seit dem Ausbruch des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine ist das Thema Flüchtlinge wieder stark in die Medienberichterstattung und somit in unseren europäischen Gesellschaften auch in die „Sorgenliste der Menschen“ aufgestiegen.

Über weite Strecken hinweg ist es aber erschreckend sichtbar, wie wenig die österreichische Politik aus den „Flüchtlings-Lehrjahren 2014 bis 2016“ gelernt hat.

Am Ende einer Lehre geht man normalerweise davon aus, dass der/die Auszubildende viel mehr Wissen angehäuft hat und auch im Stande ist, dieses Wissen umsetzen zu können.

 

Die Chancen, die sich damals geboten haben, waren groß, auch deshalb, weil viele Menschen in diesem Land und in ganz Europa bereit waren, ihre Fähigkeiten und Ressourcen in die wertvolle Integrationsarbeit von Zugezogenen einzubringen.

Menschen halfen beim Deutschlernen, bei der Wohnungs- und Arbeitssuche und beim Verstehen dieses Systems Österreich/Europa.

Firmen gelang es, Zugezogene als wertvolle Mitarbeiter*innen auszubilden und diese als fixen Teil des Unternehmens zu integrieren.

Tausende Freiwillige sammelten Erfahrungswissen, wie Integration gelingen kann, obwohl sie von der Politik meist alleine gelassen wurden.

 

Und dann die traurige Realität, vermutlich nicht nur hier in Oberösterreich:

  • Bestehende Unterkünfte wurden in jenen Gemeinden, in denen die örtlichen Freiwilligen super gut vernetzt und organisiert waren, veräußert oder gar abgerissen.
     
  • Es wurde verabsäumt, in jenen Gemeinden, in denen es Widerstand gab, die Bevölkerung auf die kommenden Flüchtlinge vorzubereiten.
     
  • Vermutlich wurde an der Arbeitsqualität der Beamt*innen mittels Schulungen ebenso wenig vorangebracht, wie es in der Vorbereitung und Verteilung der Erstaufnahmekapazitäten geschehen ist.
     
  • Und EU-weit kamen wir keinen Millimeter in einer gerechten Verteilung und dem Ausbau einer qualitativen Betreuung der Geflüchteten in den einzelnen Staaten voran! Es macht nach wie vor einen Unterschied, ob ich Flüchtling in Deutschland oder Ungarn bin. Und Österreich ist leider eher auf dem Weg „nach Ungarn“ als „nach Deutschland“!

 

Wir hören nach wie vor, wie wichtig die Schließung der Balkanroute sei und die Mittel fließen ausschließlich in polizeiliche und militärische Maßnahmen, um dieses Ziel zu erreichen. Dazu stellt der renommierte, aus Salzburg kommende Migrationsforscher Gerald Knaus treffend fest, dass der Balkan von EU-Ländern umgeben sei. Gleichzeitig stellt er den falschen Aussagen von Politiker*innen in Budapest, Wien oder anderswo im Osten Europas die Fakten gegenüber, die nachweisbar den Rückgang der Flüchtlingsströme auf dieser Route bereits zeigen.

 

Schau dir dazu diesen 6-Minutenclip vom Migrationsforscher Gerald Knaus über Fluechtlingspolitik an.

Warum auch viel weniger Flüchtlinge über das Mittelmeer nach Europa kommen, wird im folgenden Arte-Beitrag beleuchtet (52 min) :

 

Dabei ist zu den Zahlen von 2022 und 2023 Folgendes zu sagen:

Insgesamt sind zurzeit 103 Millionen Menschen auf der Flucht.

59,1 Millionen Geflüchtete leben nach wie vor im eigenen Land, sind also sogenannte Binnenflüchtlinge (IDP´s), und davon wurden 53,2 Millionen durch Gewalt und Konflikte, sowie 5,9 Millionen durch Umweltkatastrophen vertrieben.

Während in China, den Philippinen und Indien sowie Vietnam und Indonesien die Menschen wegen Naturkatastrophen fliehen müssen, sind es in Äthiopien, DR Kongo, Südsudan, Somalia, Jemen, Afghanistan und Myanmar vor allem die Kriege und bewaffneten Konflikte, die die Menschen in die Flucht treiben.

2022 kamen allein in der Ukraine weitere 6,3 Millionen intern Vertriebene dazu und mehr als 5 Millionen Ukraniner*innen flüchteten vor dem Krieg ins Ausland.

42 Prozent aller geflüchteten Menschen auf der Welt sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren (mehr als 43 Millionen Kinder/Jugendliche).

 

Verschiedene Motive für Migration

Im Zusammenhang mit Flucht, Asyl und Migration wird von vielen Menschen zwischen Verfolgten und Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden.

Und diesen beiden verschiedenen Migrationsmotiven ist richtiger Weise mit verschiedenen Ansätzen zu begegnen.

Allem voran steht die Notwendigkeit, Migration differenziert und vor allem positiver zu denken und zu bewerten, als wir es bisher in Österreich mehrheitlich geschafft haben.

Politisch verantwortliche Menschen stehen dabei in der Pflicht, diesen wichtigen Schritt anzukurbeln. Jede*r, der oder die dies nicht macht, läuft Gefahr, sich eines moralischen Verbrechens schuldig zu machen.

 

Österreich bedarf der Migration!

Zum einen müssen wir uns den für uns geltenden Verpflichtungen aus der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention stellen und diese nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen.

Zum anderen müssen wir den demografischen, wirtschaftlichen, sozialen und sicherheitspolitischen Herausforderungen endlich in die Augen schauen.

 

Was meine ich damit?

Österreich steuert immer stärker auf ein demografisches Problem einer „alternden Gesellschaft“ zu. Das Gleichgewicht von Jungen und Alten, die die Gesellschaft tragen, wird sich zunehmend zugunsten der Alten verändern.

Wenn nicht die Jungen bereit sind, wesentlich mehr als die bisher Werktätigen zu arbeiten oder nicht ein sehr großer Produktivitätszuwachs durch Innovation erzielbar ist bzw. die Alten nicht weit über das bisher geltende Pensionsalter hinaus weiterhin arbeiten, dann wird es zu einem Wohlstandsverlust in Österreich/Europa kommen.

Ein größerer Wohlstandsverlust kann Verwerfungen im sozialen Frieden unserer Demokratien zur Folge haben, die vermutlich durch sowieso notwendige, gerechtere Reichtumsumverteilung alleine nicht mehr kompensierbar ist.

Grundaufgaben des Staates, welche die Versorgung in den Bereichen Gesundheit, Arbeitsplatzsicherheit, in Bildung, Sicherheit, Mobilität und vielem mehr sicherstellen, könnten gefährdet sein.

Eine Spaltung der Gesellschaft ist wahrscheinlich und kann, wie es zum Teil in der Corona-Pandemie sichtbar wurde, die Situation verschärfen, hängen doch Demokratie und der Rechtsstaat von einem grundsätzlichen, gegenseitigen Respektieren ab.

Die seit einigen Jahrzehnten vom rechten Rand der Gesellschaft propagierte „Abschottung Österreichs“ führt in den Abgrund.

Eine radikale Änderung dieses Denkens wird entscheidend dafür sein, ob Österreich weiterhin ein Land bleibt, um welches uns weltweit viele Millionen Menschen beneiden. 

Migration und Chancen der Integration sind ein Schlüssel für das Abwenden vieler oben genannter Bedrohungen.

Die Zahl derer, die dies auch so sehen, steigt – leider auch immer noch die Zahl jener, die den alten Rattenfängern der Rechten auf den Leim gehen.

Wirtschaftsleute und Unternehmer*innen erkennen das Potenzial in geregelter und stark ausgebauter Migration nach Österreich.

Millionen von jungen, arbeitswilligen, lernbegierigen und am Aufbau eines guten, eigenen Lebens interessierten Menschen aus vielen Regionen der Welt warten darauf, dass sich die Länder in Europa öffnen. Öffnen, um Arbeitschancen bereitzustellen, Ausbildungen zu ermöglichen, die Basis dafür geben, dass die Herkunftsfamilien zuhause unterstützt werden können.

 

Mit deren Leistung kann es Österreich und Europa schaffen

  • Menschen aus vielen Teilen der Welt Perspektiven zu geben, die für immer oder auch nur zeitweise in Europa arbeiten werden.
  • den jungen Österreicher*innen eine Zukunftschance zu geben und dem drohenden Wohlstandsverlust oder einem menschenunwürdigen, ausbeuterischen Arbeitsumfeld nicht ausgesetzt zu sein.
  • wirtschaftliche und soziale Verbindungen zwischen Europa und anderen Teilen der Welt zu bauen, die gerechter als die bisherigen empfunden werden.

 

Voraussetzungen für diesen Transfer sind

  • Die Einsicht erlangen, dass Österreich Einwanderung im großen Stil braucht.
  • Eine Gesetzgebung und Beamtenschaft, die die Notwendigkeit der Migration nach Österreich erkennt und diese nach bestem Wissen und Gewissen schnell und ordentlich umsetzt.
  • Die Durchlässigkeit von Grenzen, die sowohl das Reisen als auch zeitweise Arbeitsmigration legal erlaubt.
  • Die geregelte Einwanderung, die gezielt jene Menschen dazu einlädt und dabei auch unterstützt, die hier ihr Leben aufbauen und ihre Leistung einbringen wollen. Für immer oder zeitweise.
  • Und nicht zuletzt eine Bevölkerung, die im Fremden nicht von vorne weg eine Bedrohung, sondern eine Chance erkennt.
  • Eine Bevölkerung, die bereit ist, die wichtige Integrationsarbeit zu leisten und so aus Fremden Freund*innen oder zumindest gute Nachbar*innen werden lässt.

 

Fluchtursachen müssen wir beseitigen und den Geflüchteten müssen wir helfen!

Migration sollten wir endlich wollen – auch im eigenen Interesse!

 


Quellen:

 

Bild THE MAMBA IS COMING 2 GET YOU

Das Titelbild zeigt Adam Masava und Brian Kimani, Künstler aus Kenia. Sie wollen mit ihrem Bild THE MAMBA IS COMING 2 GET YOU auf die Chancen von durchlässigen Grenzen hinweisen, die es Menschen auf allen Kontinenten ermöglicht, Lernerfahrungen und Arbeitschancen zu finden.

Das Original-Wandgemälde aus 2022 ist im Mural Harbor im Linzer Hafengebiet zu sehen.

Luggi Frauenberger

ist im Jungscharbüro für den DKA-Bildungsbereich mitverantwortlich und betreut das Fundraising und die Spezialprogramme Solidareinsatz und Lerneinsatz.