INDIEN - Corona bremst die ganze Welt II

16.04.2020 | von Luggi Frauenberger
Mit diesem Artikel der „Coronareihe“ wende ich unsere Blicke der größten Demokratie der Welt zu. Indien. Mehr als 1,3 Milliarden Menschen sind gezwungen, zuhause zu bleiben. Und hunderte Millionen von Menschen wissen nicht, wie sie das überleben sollen.

Indien - ein Bild zwischen Chaos und Hoffnung

Die Rückmeldungen unserer Projektpartner*innen aus Indien ergeben in diesen Tagen ein sehr unterschiedliches Bild der Lage in diesem südasiatischen Subkontinent. Zum einen lassen die unbeschreiblich großen Hilfspakete der indischen Regierung (insgesamt wurden bislang Hilfspakete in der Höhe von 22 Milliarden US-Dollar geschnürt) auf massive Unterstützung hoffen und zum anderen scheinen die Herausforderungen so groß zu sein, dass ein Chaos zu befürchten ist. Wie groß die Verbreitung des Virus ist, weiß man nicht. Indien testete laut Times of India vom 29.3.2020 nur 19 Menschen pro eine Million. Am zweitwenigsten testete in Asien Japan mit 319 pro eine Million.

Niemand und nichts scheint bei dieser Pandemie in Indien die Garantie auch nur ansatzweise abgeben zu können, dass dies alles gut gehen wird.

 

Corona - Ausgangssperren

Ausgangssperre für knapp 1,4 Mrd. Menschen.

Laut Jan Sahas, einer indischen Nichtregierungsorganisation, sind 55 Millionen Tagelöhner*innen in Indien durch die mindestens 21-tägige Ausgangssperre massiv in ihrer Existenz bedroht.

Alle öffentlichen Transporte wurden mehr oder weniger über Nacht eingestellt und so können die Millionen Menschen, die sich in einem anderen Bundesstaat als ihrem eigenen befinden, nicht nach Hause. Dort würden aber Lebensmittelhilfen der Regierung verteilt werden. Hier ein Video dazu.

 

Corona – Wirtschaftseinbruch

Der Verfall der indischen Rupie ist massiv, da die drittgrößte Wirtschaftsmacht Asiens eine Vollbremsung hingelegt hat. Die indische Rupie ist im freien Fall. Während in der Zeit der Finanzkrise 2008 ein Euro umgerechnet 62 Rupien wert war, sind dies nun 82 Rupien.

26 % der Generikamedikamente Europas stammen aus Indien und rund 70 % der Rohstoffe dafür aus China (vielfach aus der Provinz Hubei). Dies führte dazu, dass Indien seit Anfang März 2020 die Lieferung von Medikamenten (wie zum Beispiel das Schmerzmittel Paracetamol) herunterfährt oder gar die Ausfuhr bestimmter Medikamente mittlerweile verboten hat.

Dieser massive Einbruch der Wirtschaft Indiens lässt neue Probleme auftauchen und alte Probleme in Indiens Gesellschaft traurigerweise wieder ganz groß werden. Mit voller Kraft versuchen nun auch die Projektpartner*innen der DKA, sich diesen Problemen entgegen zu stellen und sie werden dadurch zu „Lichtern der Hoffnung“ für tausende von Betroffenen.

In den folgenden Kapiteln erfährt ihr mehr dazu.

 

Indiens Rassismus

Mit ca. 1,3 Milliarden Einwohner*innen ist Indien (noch) das zweitbevölkerungsreichste Land der Erde. Den rund 1 Milliarde Hindus stehen über 300 Millionen Andersgläubige gegenüber und diese Tatsache wird, auch vielfach durch die Politik verschärft, immer mehr zum Sich-Gegenüberstehen, als zum Miteinander-vorwärts-Gehen.

Schon 2018 wurde in Assam, einem der nordöstlichen Bundesstaaten Indiens, das NRC (nationales Bürgerregister) eingeführt. Damals drohte für rund zwei Millionen Einwohner*innen der Verlust der Staatsbürgerschaft, weil sie Muslime sind. Schon damals wurde dieser kurze Beitrag der DW ausgestrahlt.

In den ersten Dezembertagen 2019 trat der Citizenship Amendment Act (CAA) in Indien in Kraft. Massive Proteste und Ausschreitungen waren die Folge, denn es soll zwar auf der einen Seite die Einbürgerung von (auch illegal eingewanderten) Hindus, Buddhist*innen, Sikhs, Parsen und Christ*innen aus Bangladesh, Pakistan und Afghanistan erleichtern, aber andererseits sind Muslimas/Muslimen davon ausgenommen!

Es sind immer wiederkehrende Bausteine der hindu-nationalistischen Politik Indiens, die sowohl Muslimas/Muslimen als auch die Menschen im Nordosten Indiens diskriminieren.

Die Bewohner*innen des Nordostens von Indien werden in Indien oft verächtlich „Bengalis“, „Chinese“ oder „Chinkis“ gerufen. Seit einigen Wochen hört man in Indien auch das sehr verächtliche „Corona“ als Schimpfwort für die Nordostinder*innen, da durch Typen wie Donald Trump (der das Coronavirus auch „the Chinese Virus“ nannte) den Rassist*innen wieder ein Grund mehr gegeben wurde, die Menschen des Nordostens zu verunglimpfen.

 

Der Nordosten Indiens

Genau in diesem Nordosten sind viele der DKA-Projektpartner*innen im Einsatz.

Die einen sorgen sich um Menschen, die von Menschenhandel und Sklaverei bedroht sind. Kinder und andere, die tagtäglich nach „Kernindien verschleppt“ werden, um dort in der Prostitution oder zum Abarbeiten von Schulden der Familie ihr Dasein fristen müssen. Beistand und Unterstützung leistet diesen Menschen die DKA-Partnerorganisation Nedan.

Andere wiederum arbeiten daran, dass mit vielen Jugendlichen eine Perspektive im Leben entwickelt werden kann, um im Nordosten bleiben und eine Existenz aufbauen zu können. Unterstützt werden diese „Changeloomer (change: Veränderung + loom: Webstuhl)“ mit ihren innovativen Projekten von Bosco Institute in Jorhat und der DKA.

Jakob Haijes (früherer Vorsitzender der Jungschar Linz) und ich trafen rund zehn der Changeloomers auf unserer Reise 2017 nach Assam und wir waren begeistert von der Vielfalt und Qualität der Projekte dieser jungen Menschen.

Sie versuchen, mit viel Einfühlungsvermögen, neuen Ideen und einem riesigen Elan die Welt ein Stück besser werden zu lassen. Die in Indien sehr beliebten Trickfilme sind eine Möglichkeit, Inhalte zu transportieren. Von Commutiny, dem Zusammenschluss vieler Jugendorganisationen Indiens, stammt der Film „A disease that cures“, bei dem es um die „Viren“ Liebe, Hoffnung, Freiheit etc. geht und von denen die Menschen angesteckt werden sollten, um eine bessere Welt zu schaffen.

 

 

Es sind viele der Changeloomers vom Bosco Institute zur Zeit damit beschäftigt, die von ihnen betreuten Menschen in ihrer Umgebung und mit ihren Netzwerken in Zeiten von Corona zu unterstützen!

Im Bild sehen wir das Team um Jenpur, die im Nagaland vor allem mit Kindern und Jugendlichen arbeiten. Eine der wichtigsten Aufgaben ist es, neben dem Besorgen von Essen, die Informationen über den Umgang mit Covid-19 an die Menschen zu bringen, denn auf weiten Strecken wäre die örtliche Administration in den ländlicheren Gebieten sehr überfordert, wenn nicht Hilfe von NGOs und Religionsgemeinschaften käme.

 

 

 

Fr. Ceasar, die Adivasi (indigene Volksgruppe) und die Teepflückerinnen

Tee aus Assam, wer von uns hat dieses wunderbare Getränk nicht schon mal genossen. Wenn aber diese Köstlichkeit nicht fair gehandelt ist, dann ist sie für die Teepflückerinnen eine äußerst bittere Brühe!

Schon in „normalen Zeiten“ sehen sich die Teepflückerinnen Indiens enorm schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen ausgeliefert. Dokumentiert ist dies im Kurzvideo Teeproduktion in Assam.

In Zeiten von Corona wird das Leben zur Hölle. Die hart erarbeiteten Einkommen brechen zur Gänze weg und keine Teepflückerin hat Geldreserven, um Arbeitslosigkeiten zu überbrücken. Auch die anderen, vor allem Adivasifamilien, überleben dank der Unterstützung der Pfarre. Father Ceasar, der auch sonst die Teepflückerinnen unterstützt, hat mit seinem Team nun seit einigen Wochen alle Hände voll damit zu tun, die Teepflückerinnen und deren Familien mit Essen zu versorgen.

Das Besorgen von Essen ist alles andere als einfach. Dank der auch sonst guten Zusammenarbeit mit den örtlichen Regierungsverantwortlichen bekamen er und sein Team die „Reiseerlaubnis“, um die Familien trotz der strikten Ausgangssperre besuchen zu können. Des Weiteren hat die örtliche Verwaltung schon sehr bald darauf gesetzt, sich bei der Umsetzung der Hilfsmaßnahmen auch von Nichtregierungs- und anderen Organisationen helfen zu lassen.

 

 

Manchmal kommt es auch vor, dass in bestimmten Dörfern alle Durchfahrtsstraßen von den Einheimischen blockiert sind, da diese sich vor Durchreisenden, die das COVID-19 Virus einschleusen könnten, schützen wollen. Fr. Ceasar versucht dann alles, um die Ortsälteren von der Notwendigkeit der Durchfahrt zu überzeugen, denn vielen Menschen in den dahinterliegenden Dörfern wäre sonst die Hilfe der Pfarre verwehrt.

So kann die Pfarre von Fr. Ceasar zur Zeit 156 der rund 400 Adivasifamilien in den Dörfern der Pfarre mit Hilfspaketen unterstützen. Je 5 kg Reis und Kartoffeln, je 1 kg Hülsenfrüchtemischung (für Dal) und Zwiebeln sowie 0,5 l Öl, 3 Seifen und 2 Flaschen Reinigungsmittel bilden das Paket für eine Familie, das für rund eine Woche reichen sollte.

 

Von Jesusnachfolge*innen und anderen

Pater Ceasar erzählt: „Heute bin ich ins Dorf Toropi gefahren, um wieder einige Pakete an die Bedürftigsten auszuliefern. Ich sah, wie die Adivasi die Pakete an alle im Dorf verteilten und ich sagte zu ihnen, dass ich nicht noch mehr Pakete bringen könnte. Diese seien vor allem für die Adivasifamilien im Dorf. Da sagte eine ältere Frau zu mir: 'Father, du hast recht, diese Leute hatten immer mehr als wir. Doch jetzt haben die auch nichts und es ist ja auch die heilige Woche vor Ostern. Wir machen nun das, was Jesus auch getan hat. Er ist gekommen, um mit anderen zu teilen!' Beim nach Hause Fahren dachte ich über diese Begegnung mit der Frau nach und mir wurde klar, dass wir von den Kanzeln die Nächstenliebe predigen, diese Menschen aber leben sie!

Am Nachmittag kamen einige Politiker zu mir und diese baten mich, die Lebensmittel etc. an sie zu übergeben, da sie einen besseren Überblick hätten, wer die Dinge besser brauchen könnte. Ich verweigerte. Diese Leute tun nur etwas, um als Helden auf Kosten anderer ihr Ding durchzuziehen“, so Pater Ceasar.

 

Ostern diesmal anders

Weltweit war das Osterfest heuer etwas Besonderes. Dieses höchste Fest des christlichen Glaubens nicht gemeinsam in der Kirche feiern zu können, war für viele Menschen etwas sehr Bedrückendes. Doch in den der Urkirche ähnlichen kleinen Glaubensgemeinschaften, wie dies eine Familie zum Beispiel darstellen kann, wurde Ostern zum Fest der Auferstehung.

In Father Ceasars Pfarre kamen die Menschen schon am Palmsonntag in kleinen Familienprozessionen zur Kirche, beteten zu Hause oder erhielten von der Pfarre auch die Lebensmittelpakete.

 

Zusätzlich neue Aufgaben für Projektpartner*innen

Mit vielen Projektpartner*innen in Indien, aber auch in anderen Ländern, stehen die Kolleg*innen im DKA-Büro in Wien in diesen Wochen im Dauerkontakt, da es im ein oder anderen Fall notwendig und richtig ist, einen Teil der Unterstützung der DKA für jetzt sehr dringende Bedürfnisse, wie eben dem Sichern des Überlebens durch Lebensmittelbeschaffung, durchzuführen. Die Projektpartner*innen können aktuell auf Antrag an die DKA Budgetmittel für bis zu 6 Monate für dringend notwendige Maßnahmen umwidmen lassen.

Leider mussten wir auch schon zusätzlichen Anträgen aus Budgetmangel eine Absage erteilen. So geschehen mit unseren Partnern von Nedan, die für die Unterstützung von arbeitslosen Wanderarbeiter*innen und Tagelöhner*innen in Assam Mittel benötigt hätten.

Neben den existenzsichernden Unterstützungen arbeiten die Projektpartner*innen an Bildungsmaßnahmen, was man der Infektion mit Corona entgegenstellen kann. Unter schwierigen Bedingungen zeigen die Partner*innen mit oft kreativem Einsatz ihre Solidarität mit den Menschen. Die einen mit Theater, mit selbstgemachten Lehrmaterialien, ob analog oder digital. Die anderen mit praktischen Mitteln, zum Beispiel mit Abstandsmarkierungen beim Wasserholen.

Viele Partner*innen haben es sich jetzt nochmals verstärkt zur Aufgabe gemacht, die Informationen über die Unterstützung durch die Regierung so schnell wie möglich an die Menschen zu bringen und sie dabei auch zu begleiten, dass die Milliarden von Rupien auch dort ankommen, wohin sie gehören – zu den von der Coronapandemie betroffenen, vielfach notleidenden Menschen Indiens.

Schließen möchte ich diesmal mit einem Gedicht, das uns Bappaditya Mukherjee aus Kolkatta geschickt hat. Wunderbar zum Zuhause bleiben!

 

And People Stayed Home

 

Weitere Informationen und Lesenswertes auf dka.at.

 


Quellen

Berichte von Projektpartner*innen der DKA aus Assam und anderen Teilen Indiens (Fr. Ceasar Henry, Fr. Jerry Thomas/Bosco Institute Jorhat, Mr. Jenpur Rongmei North-Eastern Social Research Centre, Nedan, Mr. Elango, Bappaditya Mukherjee, commutiny.in), Dr.in Eva Wallensteiner und Karl Valent (beide DKA), FAZ, Deutsche Welle TV

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Der Klopapierlieferant
Luggi Frauenberger

ist im Jungscharbüro für den DKA-Bildungsbereich mitverantwortlich und betreut das Fundraising und die Spezialprogramme Solidareinsatz und Lerneinsatz.